Miteinander reden wichtiger als Konsens

Am Donnerstag, dem 31. März, traf sich der Runde Tisch Radeburg zum zweiten Mal. Unter den 18 Teilnehmern waren vier erstmalig dabei, 14 Teilnehmer hatten den Radeburger Appell unterzeichnet, 7 zählen zu den so genannten „Montagspaziergängern“ vier Teilnehmer sind Stadträte.

Das Treffen wurde von Frank Schellmann aus Volkersdorf geleitet, Ingo Eißmann aus Boden schrieb das Protokoll.

Hauptthema der Zusammenkunft war „der raue Ton in der Gesellschaft“ – wie er zum Ausdruck kommt und Wege, diesen zu überwinden.

Stadtrat Jens Meister, von Beruf Polizeivollzugsbeamter, hatte einen Einleitungsvortrag vorbereitet und sich speziell zum gesellschaftlichen Umgang Polizei - Volk, Volk – Volksvertreter geäußert, sowie zur Gewaltenteilung und zu besonderen politischen Strömungen von Kleinparteien bis zur „Reichsbürger-Szene“. Verbale Rückgriffe auf die Wendezeit nannte er „nicht passend – egal von welcher Seite. Damals ging es um die Ablösung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse, darum geht es heute nicht.“ In diesem Kontext hält er auch den Begriff „Runder Tisch“ für nicht passend.

In der anschließenden kontroversen Diskussion kamen Sebastian Kruhl, Angela Hofmann und Mandy Thieme auf den so genannten „Kessel an der Magdeburger Straße“ zu sprechen - als von der polizeilichen Maßnahme Betroffene. Jens Meister war auf Polizeiseite beteiligt.

Am 13. März 2021 hatten sich nach Polizeiangaben über tausend Personen am Sächsischen Landtag eingefunden, um unter dem Motto „Es reicht – 1 Jahr Lockdown ist genug!“ gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Die Demo war angemeldet. Die Inzidenz lag an diesem Tag in Sachsen bei 109, in Dresden deutlich darunter.  Die Polizei löste die Versammlung schließlich auf, da sich die Teilnehmer nicht an Abstand und Maskenpflicht hielten. Einige hundert Teilnehmer zogen daraufhin in Richtung Magdeburger Straße ab. Die Polizei schätzte ein, dass ein Angriff auf das dortige Impfzentrum beabsichtigt sei, fuhren vorsorglich zum Schutz der Einrichtung Wasserwerfer auf, kesselten die Personen ein und leiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen diese ein. Aus Sicht von Jens Meister waren alle Maßnahmen verhältnismäßig und im Rahmen rechtsstaatlicher Normen. Die drei Teilnehmer bestritten die gemutmaßten Absichten und zweifelten auch die Verhältnismäßigkeit an – von der Identitätsfeststellung, „wo man mit Nummer fotografiert wurde wie ein Verbrecher“ bis hin zur Feststellung, sechs Stunden in Eiseskälte ausharren zu müssen. Sebastian Kruhl versicherte, nur zufällig dort gewesen zu sein. Klaus Kroemke kritisierte das mediale Ausschlachten des mutmaßlich „vereitelten Angriffs auf das Impfzentrum“ und äußerte den Verdacht einer von Unbekannten gesteuerten Aktion, die er mit dem so genannten „Reichstagssturm“ am 28. August 2020 in Berlin verglich. Die Rückfrage von Jens Meister, wen er denn hinter der Aktion vermute, konnte Klaus Kroemke nicht beantworten.

Jens Meister wies auf die Gewaltenteilung hin, die sicherstelle, dass es keine Willkür gäbe und jedem der Rechtsweg offenstehe. Die Realität der Gewaltenteilung würde jedoch in Frage gestellt, wenn sich Verfassungsrichter mit der Bundeskanzlerin zum Abendessen treffen,“ meine Klaus Kroemke.

Andere Diskussionsteilnehmer wollten den Fokus mehr auf Themen lenken „die wir hier in Radeburg beeinflussen können.“

Lothar Lucke, zuletzt Anmelder mehrerer Demonstrationen in Radeburg, unter anderem den „Spaziergang für den Erhalt des Radeburger Karnevals“ am 19. Februar, wollte herausgestellt wissen, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei, insbesondere auch an diesem Tag, hervorragend geklappt hatte. Die Beamten waren entspannt, aber bestimmt in ihrem Auftreten und so blieb alles friedlich.

Bezugnehmend auf die im Raum stehende Frage nach der Fokussierung auf das eigene Umfeld sagte Jens Meister: „Die Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe werden auch bei uns im Ort gar nicht ausgeschöpft, so könnten Bürger in der Stadtratssitzung Tagesordnungspunkte beantragen, wovon noch nie Gebrauch gemacht wurde.“

Michael Ufert, stellvertretender Bürgermeister, schloss sich dem an. „In den dreißig Jahren, die ich jetzt im Stadtrat bin, hat sich so gut wie nie ein Bürger in der öffentlichen Sitzung sehen lassen und wenn, dann auch nur zu dem einen Punkt, von dem sie betroffen waren und sind dann wieder gegangen. Viele wüssten gar nicht, dass es den Tagesordnungspunkt ‚Anfragen der Bürger‘ gibt.“

Uwe Riemer, erst seit den letzten Kommunalwahlen im Stadtrat, hielt fest, dass es im Gremium genauso wie am Runden Tisch eine große Einigkeit gibt, wenn es darum geht, das Beste für die Stadt und die Ortsteile zu erreichen. Der Stadtrat müsse sich aber mit vielen Entscheidungen befassen – von Bauanträgen über Grundstücksverkäufe, Schulessen, Umlagen für Haushaltmittel usw.

Daraufhin wurde die Frage diskutiert, ob die Stadtratssitzung ein geeignetes Format sei und noch Zeit bliebe, um Anliegen der Bürgerschaft zu diskutieren. Vielleicht sei ja der Runde Tisch in Zukunft ein solches Format.

Sebastian Kruhl, Veranstaltungstechniker, beobachtete mit Sorge, dass die Innenstadt, die er nur mit großen Abständen besuche, immer stiller werde. Ein echtes Stadtleben sei nicht mehr zu erkennen.

Schon 2018 hatten Radeburger Händler laut einer Umfrage von RAZ festgestellt, dass bis 2023 vier von vierzig Geschäften schließen werden – nach Corona sind es bis zum heutigen Tag schon neun, die seit dem geschlossen wurden. Klaus Kroemke meinte: „Gott erhalte uns Ute Klimke, denn mit ihr fällt der Bestandsschutz für den ‚Hirsch‘. Bisher hat sich kein Interessent gefunden, der das Objekt unter den derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen betreiben kann.“ Als Veranstaltungsobjekt mit kleiner Platzkapazität müssten nahezu täglich Veranstaltungen stattfinden und das würde ruhestörenden Lärm in nicht zulässigem Umfang verursachen. Sebastian Kruhl ergänzte, dass er auch keine Chance für Veranstalter mehr sähe, Auslastungszahlen wie vor der Pandemie zu erreichen.

Uwe Peukert und Stefan Gneuß, beide im Vorstand der TSV, kamen noch einmal auf die Rolle der Vereine für das Zusammenleben im Ort zu sprechen. Sie stellten die positive Entwicklung der TSV 1862 Radeburg während der Pandemie heraus. „Während andere Vereine Mannschaften vom Spielbetrieb abmelden mussten, konnten wir unseren Mitgliederbestand erhalten,“ sagte Stefan Gneuß und sah darin nicht zuletzt auch ein Verdienst von Uwe Peukert als Vorsitzendem. „Wir haben die Zeit ohne Spielbetrieb für Arbeitseinsätze genutzt, so lernte ich auch mal die Kegler kennen, die ich sonst bis heute nicht kennen würde,“ so Stefan Gneuß weiter. Uwe Peukert sagte, dass er das ja nicht für sich mache, sondern für die ganze Stadt. So habe man hier durch den Tag der Vereine schon im letzten Jahr den Zusammenhalt gestärkt und wird das auch in diesem Jahr wieder tun. Er nutze die Gelegenheit, um die „Erzählung“ richtig zu stellen, die Bürgermeisterin habe für Test- und Impfzentrum gesorgt. „Nicht gegen das Engagement von Frau Ritter, aber das war die TSV. Das haben wir organisiert. Wir waren an das Landratsamt herangetreten, die wollten uns aber nicht unterstützen. Es könne doch jeder nach Großenhain fahren. Wir haben die Einrichtungen trotzdem hierhergeholt – für unsere Bürger. Es sind die Steuern der Bürger, die hier in dieses Objekt geflossen sind und wir sahen es als eine Möglichkeit, den Bürgern etwas zurückzugeben.“ Er bedankte sich namentlich beim erstmals an der Runde teilnehmenden Stadtrat Andreas Hübler: „Er war der einzige Stadtrat, der mal zu mir gekommen ist und gefragt hat, wie wir denn klarkommen. Bis jetzt trägt übrigens der Verein die Kosten für das Test- und das Impfzentrum.“

Dann kam er zurück auf den Tag der Vereine, der bereits vorbereitet wird und am 25./26. Juni stattfinden soll. Für diesen Tag besteht eine Aufgabe darin, die Jugend von Handys, Tabletts und Spielkonsolen weg zu holen – Aufgabe für den Runden Tisch könnte sein, den Tag der Vereine auch zum „Schnuppertag“ für Kinder und Jugendliche zu machen, die bisher noch keinen Verein für sich entdeckt haben. Die Angebote sind bei diesem Tag jedenfalls da, die Schwierigkeit ist, diesen Personenkreis an diesem Tag auch vom Sofa zu holen. Andiskutiert wurde auch, ob sich der Runde Tisch mit einem eigenen Stand präsentiert – zum Beispiel zu Fragen der Zukunft unserer Stadt. Aber auch die Handwerker könnten dies tun, denn sie suchen ja auch Lehrlinge.

Anschließend tauschten sich die Teilnehmer über die Fortsetzung des Formates „Runder Tisch“ aus.  Sie nannten verschiedene Gründe, warum sie den Runden Tisch für wichtig halten und - zumindest vorläufig - dabeibleiben wollen, z.B. weil sie aus den verschiedenen Sichtweisen (z.B. denen der Ärzte) auch etwas für sich dazulernen können. Es gehe aber nicht darum, die Meinung "auszutauschen" in dem Sinne, dass man die des anderen übernimmt, sondern zunächst darum, dass man sich gegenseitig zuhört und Verständnis für die Sichtweise des jeweils anderen gewinnt.

Das nächste Treffen soll Anfang Mai 18 Uhr stattfinden. Der genaue Termin wird in der kommenden Druckausgabe des „RAZ“ veröffentlicht. Weiterhin können sich Interessierte über Whatsapp/Telefon 0173/9330725 dazu anmelden. Geplantes Schwerpunkt-Thema: Wie entsteht Angst? Angst und Immunsystem. Die psychologischen Ursachen für die Spaltung der Gesellschaft und für wachsende Aggression – Wege aus der Angst, zum Selbstschutz, zu Verständnis und Toleranz.

Runder Tisch Radeburg

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