4. Runder Tisch Radeburg: Kinderlärm ist Zukunftsmusik

Das Thema der Zusammenkunft am 31. Mai im Pfarrhaus der ev. - luth. Kirchgemeinde Radeburg war diesmal „Weg von den Endgeräten! Wie bekommen wir die Kinder in die Vereine?“ nach der Begrüßung durch Gastgeber Pfarrer Andreas Kecke begann die Vorstellungsgrunde der je nach Thema teilweise wechselnden Teilnehmer. 5 der 17 Teilnehmer waren neu bzw. nach Pause wieder dabei. Deshalb wurde es so gemacht, dass gleich jeder erklärte, was ihn zu diesem Themenkreis bewegt. Dabei stellte sich schnell heraus, dass das Thema eigentlich aus zwei Themen besteht: Kinder einerseits – Vereine anderseits.

Die Situation der Kinder

„Das Freizeitverhalten unserer Kinder wird wesentlich durch die Eltern bestimmt – durch ihre Vorbildwirkung. Wieviel Zeit verbringen die Eltern an Endgeräten und wieviel Zeit bleibt für ihre Kinder übrig?“ ließ Oberschulleiter Michael Ufert ausrichten, der aus wichtigen Gründen nicht teilnehmen konnte.

Kinder bewegen sich zu wenig und wissen nicht, wo ihre Stärken sind und wissen auch nicht, wo sie sich ausprobieren können, wird dazu ergänzend in der Runde festgestellt. Sie haben aber auch keine lange Weile, weil es viele starke, attraktive und flimmernde Angebote gibt, die man mühelos erreicht. Sicher ist es für Eltern leichter, auf die ebenfalls viel einprasselt, ein „Endgerät“ anzustellen, als nach einem anstrengenden Arbeitstag, in dem man selbst Erholung braucht, noch etwas mit den Kindern zu unternehmen. Vereine sind da eine gute Alternative, auch um die Eltern mal zu entlasten – aber längst nicht die einzige.

So haben Radeburg und die Ortsteile eine ganze Reihe von Spielmöglichkeiten im Freien, aber damit auch eine ganze Reihe von Problemen. Die erste Reaktion von Verantwortungsträgern ist, wo möglich, zusperren. So sind bestimmte Anlagen außerhalb der Schulzeit und außerhalb der Vereinstätigkeit nicht nutzbar – so zum Beispiel der Bolzplatz an der Grundschule und der Sportplatz an der Jahn-Allee. Am Spielplatz in Großdittmannsdorf wurden vom SV Grün-Weiß kleine Tore bereitgestellt, damit die Dorfkinder ein bisschen „Bäbbeln“ können. Gegen das Aufstellen der Tore regte sich Widerstand einzelner Anwohner, weil man Ruhestörungen befürchtete. Nach einiger Zeit wurden die Tore wieder abgebaut.

Stadtrat Andreas Hübler fand das unverständlich und prägte den titelgebenden Satz: „Kinderlärm ist Zukunftsmusik“, der sich – nachträglich recherchiert – zuerst bei Dr. Gerhard Strobel fand – wie passend: der war Bürgermeister einer Kleinstadt.

Auch dass Eltern den eigenen Kindern im Weg stehen wurde angemerkt. Veit Martin nannte als Beispiel einzelne Eltern, die in der Coronazeit die Ausstrahlung eines Weihnachtsvideos mit den eigenen Kindern untersagten, obwohl zuvor Unterschriften geleistet wurden. So wurden alle beteiligten Kinder um ein Erfolgserlebnis gebracht.

Die Situation der Vereine

Man kann nur über Menschen staunen, die sich Vereinsarbeit über Jahre, manche über Jahrzehnte, „antun“. Meist nach getaner Arbeit, die oft konfliktreich genug ist. Nicht selten neben (im glücklichen Fall mit) der Familie „holt“ man Kinder von der Straße, bringt Fremden etwas bei – ob nun Abseitsfalle oder Tonleiter, Kreisspiel oder Krippenspiel – formt sie zu Sportlern, Spielern, Musikern, Künstlern – entdeckt, woran man Freude hat und im besten Fall: Talent. Die gesellschaftliche Würdigung des Ehrenamts wird in Sonntagsreden großgeschrieben, einige wenige werden alibimäßig ausgezeichnet, aber der Alltag sieht oft anders aus. Dann wird man von „Helikoptereltern rund gemacht“ – diese Wortwahl kam in der Runde. Wer tut sich das an, Schiedsrichter in der Kreisliga zu sein, wenn man vom Spielfeldrand bepöbelt wird, oft unter dem Gelächter eines nicht näher definierbaren „Mobs“? Mehrere Diskussionsteilnehmer mahnten mehr gegenseitigen Respekt an. Es fehlt auch den ehrenamtlichen Übungsleitern bzw. Schiedsrichtern an pädagogischer bzw. psychologischer Ausbildung und deshalb fehlt auch hier und da Fingerspitzengefühl. Mag sein, aber man ist auch nicht in der Bundesliga und sollte hier andere Maßstäbe anlegen. Für die Ausbildung als Trainer oder Schiedsrichter opfern die Leute auch noch ihren Urlaub. Jeder ist gefragt, sich selbst einzubringen und es selbst gut und besser zu machen, denn da ist schon das zweite Problem der Vereine: die „dünne Personaldecke“.

Schon seit einigen Jahren war die Situation voraussehbar, dass es an Nachwuchs fehlt. Das liegt nicht zuerst an den Spielkonsolen, sondern an den Geburtenraten. Die Zahl der Vereine bleibt, aber der Nachwuchs fehlt dann im Kirchenchor genauso wie im Schützen- oder Sportverein, in den Nachwuchsgarden des Karnevals oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. Deshalb hatten sich zum Beispiel im Fußball die drei lokalen Vereine schon vor vielen Jahren zusammengetan und Spielgemeinschaften im Nachwuchsbereich gebildet. Diese Zusammenarbeit wurde dann jedoch 2017 seitens der TSV wegen der neuen großen Verantwortung als Eigentümer/Pächter der Sportanlagen an der Jahn-Allee aufgekündigt. Der Vorgang verlief alles andere als glücklich und dividierte die Vereine auseinander – leider bis heute. Die verschiedenen Standpunkte und Sichtweisen dazu wurden in der am Runden Tisch üblichen, klaren aber höflichen Form ausgetauscht. Das Format „Runder Tisch“ könnte hier übrigens als gutes Beispiel fungieren - wie man es schaffen kann, auch mit weit auseinander liegenden Meinungen einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Das sollten die Vereinsvertreter aber nun zunächst unter sich ausmachen. Die anwesenden Vereinsvorsitzenden Uwe Peukert (TSV) und Sven Wehnert (SV Grün-Weiß) signalisierten dazu zumindest Gesprächsbereitschaft

Lösungswege

Mehrere Diskutanten betonten die gegenseitige Wertschätzung als Grundvoraussetzung für unser Zusammenleben. Dies gilt für alle Bürger im Allgemeinen und im Besonderen für die Protagonisten der Vereine, für Eltern und Zuschauer, die sich einfach nur unterhalten (lassen) wollen.

Im Verein zu sein bedeutet, regelmäßig Zeit fest zu verplanen – z.B. für Proben und Auftritte, bei manchen für bis zu drei Mal Training in der Woche und am Wochenende Wettkampf. Mancher will vielleicht nur auf dem Sportplatz mal eine Stadionrunde drehen oder sich im Weitsprung verbessern. Jugendliche wollen mal eine Runde Volleyball spielen, um für ein Freizeitturnier zu üben, Kinder wollen am Wochenende mal auf den Bolzplatz. Die rechtlichen oder versicherungsrechtlichen Vorbehalte muss man sich genauer ansehen – unter der Prämisse: Geht nicht gibt’s nicht. Früher gab es „Nachtwächter“ – in dem Sinne könnten Ehrenamtliche Spiel- und Sportplätze kontrollieren und bei Eintritt der Dämmerung abschließen. Wer im Verein am Erhalt von Spielanlagen beteiligt ist, möchte nicht, dass andere diese abnutzen, beschädigen, vermüllen. Statt die „Täter“ zu vertreiben, sollte man sie bei Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen heranziehen. „Kindern Patenschaften für bestimmte Anlagen zu übertragen hat auch an anderen Orten zu weniger Vandalismus geführt,“ meinte Veit Martin. Marielle Buchheim schlug vor, zu einer der nächsten Zusammenkünfte den Schülerrat einzuladen, um einmal die Sicht der Schüler kennenzulernen.

Auch den Ehrenamtlern muss mehr geholfen werden als mit Schulterklopfen. Angela Hofmann – SAB-Mitarbeiterin im Ruhestand – bietet an, bei der Erstellung von Förderanträgen zu helfen, die viele als zu kompliziert empfinden und es deshalb gleich lassen.

Der nicht zuletzt als „Schnuppertag“ zu verstehende Tag der Vereine sollte auch und gerade als Angebot für die Kinder und Jugendlichen – und nicht nur für die – verstanden werden, sich zu orientieren, ob etwas für sie dabei ist. Die Schulen wurden entsprechend informiert und auf reges Interesse wird nun gehofft. Überhaupt war die Kommunikation mit den Schulen ein vielfach angesprochenes Thema. Der Kinderchor in der Kirche hat z.Zt. nur 4 Kinder, auch Musikunterricht ist in der Kirche für jedes Kind möglich und wird noch wenig angenommen. Man wird nicht gezwungen, dafür der Kirchgemeinde beizutreten, sondern kann sich bei Interesse einfach an Kantor Veit Martin wenden. Der Kirchenmusiker plant, ein Kindermusical einzustudieren und freut sich auch da über jeden, der mitmachen möchte. Die Projektwochen der Oberschule bieten sich vielleicht an, hier zueinander zu finden.

Es klingt paradox, aber wir können auch die Endgeräte nutzen für „Weg von den Endgeräten!“ Die Angebote der Radeburger Vereine sind nach Eingabe des Suchbegriffs nur einen Klick weit entfernt. Der dort zu findende Content könnte besser sein – mit Fotos, Videos und Dokumentationen, aber die Initiative, danach überhaupt zu suchen, muss von jedem einzelnen kommen. Man kann im Radeburger Anzeiger, in Schaukästen und auf Plakaten Angebote machen, aber nicht zu übertreffen ist das Weitersagen. Das geht im persönlichen Gespräch, mit der persönlichen Einladung, überall wo man sich begegnet, natürlich am besten. Und um auf die Endgeräte zurückzukommen: man muss eben auch nach den örtlichen Angeboten, die naturgemäß eine geringere Reichweite haben als die Topseiten der großen Medienunternehmen, bewusst suchen. Die Algorithmen im Netz funktionieren so, dass sich das Ranking verbessert, je öfter etwas gesucht und angeklickt wird. Klaus Kroemke kam deshalb auf die angesprochene gegenseitige Wertschätzung zurück. „Die gibt’s auch als digitale Wertschätzung. Wenn wir uns gegenseitig den Daumen nach oben oder das Herz schenken, dann bringen uns die Algorithmen größere Reichweite und umso mehr finden Interessierte, Schüler, Jugendliche, auch die Angebote, die von der Mattscheibe wegführen.“

Verfasst mit mehrheitlicher Zustimmung im Namen des Runden Tisch Radeburg

Der 5. Runde Tisch findet am 5. Juli im „Deutsches Haus“ statt. Beginn: 18 Uhr. Um Anmeldung über E-Mail radeburgerappell@gmail.com oder WhatsApp 0173/9330725 oder über jeden Unterzeichner des Radeburger Appells wird gebeten.

Thema des Treffens: Zukunftsvision: Radeburgs Innenstadt – tot oder lebendig?

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